Die 3. Kugel – 2. Kopf oder Zahl

Hier nun ein weiterer Teil der Kriminovelle „Die 3. Kugel“ von Bodo Dringenberg. Wenn Du die vorherigen „Aufnahmen“ verpasst haben solltest, dann lies diese doch zuerst.

Kugelkultur

Viel Vergnügen …

Die 3. Kugel
eine Kriminalnovelle in dreizehn Aufnahmen von

Bodo Dringenberg

2. Kopf oder Zahl

Olaf sah sich die auffälligen Kugeln genauer an. „Die sehen aus wie schlecht angestrichen. Und da, eine fehlerhafte Schweißnaht, sowas kommt normalerweise nicht aus Frankreich.“ – „Wie meinst du das?“ – „Na ja, sehr unsauber gearbeitet. Ein komisches Ding, ich müßte sie mal werfen.“ – „Eigentlich geht das nicht, die sind ladenneu.“ – „Und wahrscheinlich vorher irgendwie zurechtgemacht, gefälscht, eben boules truquées. Wenn du sowas verkaufen willst – deine Sache.“ – „O.k., dann wirf mal eine.“ Der Spieler stellte sich in Positur, federte mit paralleler Fußstellung seinen sicheren Stand aus, erstarrte, fixierte ein imaginäres Ziel, warf aus kurzer Ausholbewegung mit Rückdrall die Kugel in einem halbhohen Bogen. Sie kam mit einem dumpfen Geräusch auf, rutschte fast mehr als sie rollte, ja rollte eigentlich gar nicht, sondern bewegte sich in fast ruckartigen Bewegungen auf dem feinen gelblichen Schotterboden, um dann unvermittelt mit einem kurzen Wackler zu verharren. „Das ist ja `n Ding“, sagte Olaf, „die würde ich ohne weiteres aufsägen, da ist irgendwas drin.“ – „Spinnst du? Aufsägen? Das sind 130 Mark.“ – „Peter, mach´s lieber, der Ärger mit diesen Dingern, kommen sie unter die Leute, kommt dir teurer zu stehen.“
Unterdessen hatte sich der Parkweg belebt: Gaby, Dirk, Franz und Fritz standen zusammen. Noch spielten sie nicht mit Eisen, sondern plänkelten mit Worten. Dirk war gerade empört: „Manche weigern sich einfach, ihren Kopf zu benutzen und auch nur einmal über ihre Schieß-Bewegung nachzudenken!“ – „Manche weigern sich auch, über ihre Beweggründe nachzudenken.“ – „Was redet ihr da? Das ist ja wohl zum Schießen!“ – „Beziehungsweise bewegen sich grundlos, wenn ich schieße.“ – „Wir sollten einfach die Kugeln bewegen, denke ich – oder weigert sich jemand?“ – „O.k., laßt uns was Zählbares hinlegen.“ – „Genau, auswerfen! Kopf oder Zahl?“
Während das Spiel begann, unterhielten sich Olaf und Peter weiter, und zwei Männer kamen die Stadtmauertreppe herunter. Sie fummelten an den Steinstufen des Gemäuers herum. Die Kripo in Zivil. Das war nichts Aufregendes für die Bouler, sie kannten das. Früher war schon mal zu lesen gewesen, daß im Stadtpark Koksverstecke existierten oder irgendwelche Deals abgingen. Das war nicht der Boulerinnen Stoff, das war nicht ihre Sucht – sie hatten die Kugeln. Und seit sie hier regelmäßig ihrer Passion frönten, war die einpfeifende Szene verschwunden.
Fritz nuschelte zu Franz rüber, der gerade legen wollte: „Hoffentlich entdeckt die Polizei bei der Suche nach heißer Ware unseren Keller nicht!“ Franz winkte ab und legte seine JB genau vor das Schwein.
Der „Keller“, das ist ein bischen ausgehöhlte Stadtmauer, ein Not-und Reservelager für Boule-Spezifisches. Denn man kennt das ja: einer kommt „mal kurz vorbei“ und ist kugellos, eine wünscht eine Erfrischung und ein anderer – immer der gleiche – hat das Park-Bouler-Fanzine mit den neuesten Turnier-Daten immer noch nicht.
Pit Klußke hatte sich damals nach gemeinsamer Erörterung den vorgesehenen Platz für den diskreten „Keller“ angesehen und gesagt: „Alles eine Frage der Camouflage. Das kriegen wir hin.“ Pit, ein ehemaliger Kulissenbauer, vermaß ein gebüschgedecktes Rechteck aus vier Quadern. An einem lauschigen Sommerabend waren diskret vier Blöcke aus der Mauer heraus genommen und Pits Ergebnis fachkundiger Heimarbeit eingefügt worden: Eine Kunststoffplatte, geformt, angepaßt, eingefärbt in verwitterter Sandstein-Optik mit Moosbesatz, eben wie ein natürlich-denaturiertes Element des mittelalterlichen Bauwerks.
Nur ein harter Kern weiß bescheid und hält eisern dicht. Unter sich spricht er vom „Keller“, öffentlich wird sich nach dem Wohlergehen von „Gottfried“ erkundigt. Und immer, wenn einer an dieser Stelle durchs Gebüsch an die Mauer tritt, wird der nichtwissende Beobachter denken, der Wegtretende schiffe mal eben.
Als die beiden Zivilfahnder die Treppe und ihre Umgebung untersuchten, machte sich daher auch keiner Sorgen um den versteckten Keller „Gottfried“.

FORTSETZUNG FOLGT

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