Die 3. Kugel – 1. Gauls Kugeln

Die Uhr ist auf Winterzeit umgestellt und die Tage werden immer kürzer: die Boule-Saison 2004 neigt sich dem Ende. Ein guter Zeitpunkt, ein weiteres Thema bei planetboule einzurichten und euch neue Inhalte zu präsentieren: Kugelkultur.

Eingeweiht wird dieser Bereich mit der Kriminovelle „Die 3. Kugel“ von Bodo Dringenberg, die er eigens für planetboule überarbeitet hat. Sie besteht aus 13 Aufnahmen, von denen ab jetzt immer Sonntags um 18:00 Uhr eine veröffentlicht wird. Viel Vergnügen …

Die 3. Kugel
eine Kriminalnovelle in dreizehn Aufnahmen von

Bodo Dringenberg

1. Gauls Kugeln

Nahe am verkehrsdurchtosten Platz, am östlichen Ende des Stadtparks, liegt im Grün eine Plastik. Eine große, hohle, rostige Stahlkugel, daneben eine vierkantige Bandvolte, ebenfalls aus oxidiertem Stahl. Dieses gewundene, mehrere Meter lange Metallgebilde erscheint wie eine Abwicklung der Kugeloberfläche.
Der schwungvolle Bogen und die Schleife des Bandstahls überraschen nicht. Denjenigen, die schon einmal rohe Kartoffel geschält haben, sind derartige Kurven vertraut. Irritieren mag der rechtwinklige Knick, der die weiche Linienführung des Bandes hart unterbricht. Der konseqent entwickelte Schwung ist also nicht ohne die abrupte Richtungsänderung zu haben. Der Schöpfer dieser Plastik wußte übrigens nichts vom Boule, wollte nicht das Pétanque ästhetisiert. Er hatte die Beziehung Kugelkörper-Fläche-Linie im Auge, die er metallen ausformulierte. Soll die perfekte Form der Kugel in die Fläche gebracht werden, so ist mit Überraschungen zu rechnen.
Dreihundert Meter weiter befördern Boulerinnen und Bouler ihre Kugeln auf eine mal glatt-harte, mal schmierige, mal schotterige Fläche. Sie ist ein breiter, unregelmäßiger Parkweg mit Bänken, Rabatten und Platanen, der sich an den Resten einer grobgefügten Sandsteinmauer aus dem 15. Jahrhundert hinzieht. Hier, am Überbleibsel des städtischen Mittelalters, sind nachmittags immer Boulomanen zwischen 16 bis 70 zu finden. Manchmal sind es nur drei, manchmal drei Dutzend, die dort mit mäßiger Lautstärke, meist aus Plaisier, ihre handlichen Hohlgefäße durch die Luft werfen.
Dort stand auch, etwas abseits, winters wie sommers, Olaf Kruthaas, spielte wenig, aber schoß viel. Stand halbwegs wuchtig und entschlossen da auf dem Feinschotter und schoß und schoß. Schoß und schoß und hatte nun schon weit über 10.000 Trainings-Schüsse absolviert. Hatte also die Zahl überwunden, die ein Tireur angeblich benötigt, um ein selbiger zu werden. Manchmal traf Olaf, doch egal, er schoß weiter.
Später kam dann der entscheidende Schuß, der, obwohl er voll lochte, genau traf…
Immer wieder tauchen Presse-Menschen im Park auf, um ihre diversen Blätter mit Boulistischem aufzumischen und anzureichern. Danach ist in den Gazetten Erstaunliches zu lesen von „eine ruhige Kugeln schieben“, „biergeöltem Punktemachen“ bis „gelassenem französischem Flair“.
Auch mit Bildern offensichtlich exotischer Spieler werden die kenntnisreichen Lokalseiten gern geschmückt. Olafs wuchtiger und etwas überquellender nackter Oberkörper war einst im Juli zu sehen. Oder mitten im Winter, vierfarbig, ein schmaler, lang aufgeschossener, unglaublich französisch wirkender Spieler. Das war Fritz, vollständig bekleidet, bei dem von Haltung, über Schnäuzer bis hin zur im Mundwinkel klemmenden Filterlosen aber auch alles stimmte.
So kam es, daß die Parkweg-Boulerinnen eine gewisse Bekanntheit in ihrer Provinzstadt errangen und der dynamische Spieleladen-Inhaber Peter Gaul sich ratsuchend an einen dieser Spezies wandte.
Eines Herbstnachmittags, so gegen halb drei, schritt also Peter Gaul mit seinem Kugelsatz auf den Spieler zu, der sich dort, offensichtlich noch allein, boulistisch betätigte.
„Hey, ich bin der Peter vom neuen Spieleladen >Ikaros< . Ich habe gehört, daß sich hier sonst immer so viele tolle Boule-Spieler, ja richtige Kugel-Experten herumtreiben sollen. Ich habe nur mal eine kleine Frage, vielleicht kannst du mir ja helfen."
Der angesprochene Spieler war Anfang vierzig, mittelgroß, breitschultrig, mit einem Bauchansatz, leicht hängenden Wangen und schon ausgeprägten Tränensäcken versehen, ein körperliches Ensemble, daß auf massives Essen und Trinken schließen ließ. „Hallo, ich bin Olaf“, gab er freundlich zu verstehen und reichte Peter eine große, aber nicht zu feste Hand.
„Ja, mmh, wie soll ich sagen, es geht um diese Kugeln hier. Eine ganze Partie aus Frankreich ist mir von privat besonders preiswert angeboten worden. Ich kenn´ mich in den Feinheiten des Boule nicht so aus, darum wollte ich mal wissen, was von diesen Eisenteilen hier zu halten ist.“
Olaf wog eine der schwarzen Kugeln in der Hand, warf sie etwas hoch, fing sie auf, ließ sie in der Hand hin und her rotieren und schüttelte leicht den Kopf. „Mit der stimmt etwas nicht.“

FORTSETZUNG FOLGT

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